"Journal '09: 21.8.
Kümmernd und zweisprachig.
Das was mir diesmal nach der Rückkehr aus einer ganz anders strukturierten und wirklichen Weltstadt in die Ex- und Fast-Weltstadt Wien augefallen ist, war der unterschiedliche Umgang.
In Berlin hat man, Anonymität hin oder her, viel eher das Gefühl einer Solidargemeinschaft von Stadtbewohnern und -benutzern anzugehören, von Menschen, die aufeinander achten. Ich hatte dieses Gefühl auch vor einem knappen Jahr, nach der Rückkunft aus New York, wo dir in der U-Bahn drei Mitfahrer beistehen, wenn du etwas fallen lässt.
Klar darf man die Oberflächenfreundlichkeit nicht mit wahrer Freundschaft verwechseln, aber das Gefühl der Nächstenliebe, des Kümmerns, ist auch im sonst seltsamen Amerika stärker ausgeprägt.
Wichtigster Indikator, ebenso wie in Berlin: es ist keine Falschheit dahinter. Wozu auch. Jeder profitiert: der der freundlich und gut behandelt wird, sowieso, und der, der sich kümmert, gewinnt dadurch Karmapunkte, die sich in einer sofortigen Zufriedenheit niederschlagen.
Ich will nicht schwarz/weißmalen, aber in dieser Punkteliste ist Wien, im Industrienationen-Standard, recht weit hinten.
Das Ranking und die Solidargemeinschaft
Das ist deshalb seltsam, weil Wien (wie ja auch Gesamtösterreich, trotz einiger Entwicklungslücken z.B. im Süden) in sämtlichen Rankings, was Lebensqualität, Stabilität, Sicherheit oder Reichtum betrifft ist, die globalen Top Ten schmückt. Es geht der Stadt irrsinnig gut, es geht dem Land irrsinnig gut. Das trifft auch auf die USA oder Deutschland zu, dort aber stehen die Städte im Vergleich dann nicht so doll da.
Berlin etwa ist arm.
Man hat eine S-Bahn-Krise (zuwenig Züge, zu hohe Intervalle etc), weil kein Geld da ist. Man hat eine Baukrise, Gelder der öffentlichen Hand tröpfeln spärlich, das soziale Netz hat Lücken etc...
Der Rückschluss, dass die in Berlin Lebenden deshalb so caring, so solidarisch sind, so gemeinschaftlich das Leben bestreiten, ist zu einfach. Diese Tatsachen werden aber, denke ich, eine Rolle spielen.
Denn natürlich ist es verlockend, die Tatsache, dass man in die Diskrepanz zwischen realer und gefühlter Zufriedenheit in Wien ganze Straßenreihen und S-Bahnlinien bauen könnte (das Geld wäre nämlich da) auch in diese Richtung zu interpretieren.
Dass nämlich mit einem Mehr an Reichtum auch ein Mehr an sozialer Kälte und vor allem ein absurdes und rein konstruiertes Mehr an Sicherheitsbedürfnis einher geht. Wenn das auf eine tendeziell wehleidige, weinerliche, selbstbemitleidende und xenophobe Grundkultur wie die österreichische trifft, kann das fatale Folgen haben.
Reale und gefühlte Zufriedenheit
Siehe zu all dem auch 2009, das Jahr in den Österreich kippt.
Weil der Umgang mit dem "Fremden" einer der wichtigsten Demokratie-Indikatoren ist, hab ich inBerlin auch darauf geachtet. Und mir sind Szenen aufgefallen, die in Wien oder fast ganz Österreich nicht möglich wären.
Dass nämlich (eher im Osten der Stadt) die Menschen sich nicht nach Herkunftskulturen, sondern nach (gefühlten) Klassen strukturieren, dass also Deutschberliner Hackler mit Türkischberliner Hacklern vorm Späti sitzen, der dann womöglich auch noch einem Araber oder Ex-Yugo gehört. Und auch miteinander reden und zwar in einer gemeinsamen Sprache, eine spezifischen Deutschberlinerisch.
Der Bursche, der beim türkischen Bäcker in Neu-Kölln hinter der Budl steht, redet, als wir reinkommen, mit seinen Homies türkisch, switcht aber sofort um und macht die nächsten drei Minuten große Show, Berliner Schnauze, schiebt trockene Witze und unterhält die ganze Bude. Man ist also, im besten Sinn, zweisprachig. Und das nur ein paar Blocks von der Rütli-Schule entfernt, die vor ein paar Jahren, im Zug einer hysterischen Campagne, als ärgste Schule der Republik herhalten musste.
Ich will damit nicht sagen, dass es keinen Rassismus gibt - aber die werden in Berlin knallhart und offen ausgetragen, von richtigen Nazis und richtigen Autonomen und nicht, widerlich schleimig, über Leserbriefseiten.
Es gibt natürlich auch Alltags-Rassismus, aber die Ausgangsposition ist eine andere, eine integriertere. Schon allein weil die Durchmischung stimmt, und weil das mit der Sprache klappt.
Die Wiener Lose-Lose-Situation
In Wien ist es nicht so, dass die Bäckerjungs oder die Hackler switchen können - ihre Zweisprachigkeit beschränkt sich auf miserables Deutsch/Wienerisch (mit dem sie in der Mehrzahl bereits die Chance auf einen irgendwie dem Aufstieg dienenden Job auch schon verwirkt haben) und ebenso schlechte Herkunftssprache.
Ich hab keine Ahnung, warum das so ist.
Versagt die Schule, in dem Fall die Hauptschule, derart komplett? Sind die Parallelgesellschaften so undurchdringbar? Bleiben in Wien echt nur die ganz maulfaulen Typen hängen? Ist die Absenz einer Qualität des widerständischen Denkens schuld?
Mir kommt immer vor, dass das in der türkischen Community in Vorarlberg anders ist, dass die sich vergleichsweise besser auf die Sprache einstellen.
Ich denke, dass das aber auch wieder mit dem Phänomen des Kümmerns innerhalb der Solidargemeinschaft zusammenhängt. Wenn das fehlt, wenn die fehlt, dann wird die Chance auf echte Zweisprachigkeit automatisch kleiner.
Deshalb gibt es in Wien diese Lose-Lose-Situation: Keiner hat was von der Abschottung und Abgrenzung, die nicht aus politischen Gründen stattfindet (der Populismus instrumentalisiert da nur tatsächlich Vorhandenes) sondern auf einer miserablen Grund-Konstitution aufbaut.
Über die hab ich ja jüngst hier eh genug geschrieben.
Natürlich ist die Tatsache, dass anderswo Dinge besser funktionieren, kein Anlass für Häme oder doofes Rezepte-um-sich-werfen - die werden nämlich nicht funktionieren, wenn man sie nur raufpropfen will, ohne die hiesigen Hintergründe genau anzuschauen.
Die Blicke ins Anderswo können nur ein Anlass, eine Verstärkung für genau das sein."
aus: Blumenau, Martin (2009)
abgerufen von der fm4 Homepage:
http://fm4.orf.at/stories/1624745/
-- Will ja keine Copyright Probleme kriegen, also immer schoen zitieren, nicht wahr Herr Wissenschaftsminister Dr. Hahn? ;)
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